AV - Häppli-Day am Stehtischli
Am Samstagabend gab es im «Löwen» in Appenzell zwar keine Cüpli und Häppli für Gaumen und Magen, dafür Köstliches für die Hirnwindungen, Freches auf die Ohren und Lustiges für die Bauchmuskeln. Angerichtet haben das Wortspielbuffet der Extra-Klasse das «Phantom of the Apéro» Kilian Ziegler und sein Adlatus am Piano, Samuel Blatter auf Einladung der Kulturgruppe Appenzell.
Eine von Herrn und Frau Schweizers liebsten Nebenbeschäftigungen ist das «Aperööle». Kilian Ziegler hat sich umgehört und umgesehen. Er weiss, was den grossen Nachbarn Schwarz-Rot-Gold, ist den Speisgenossen «Weisswein-O-Saft-Mineral». Darauf würden sie den Cüpli-Schwur leisten wie schon «Werner Stauffacher, Walter Fürst und Betty Bossi».
Mehr als Smalltalk und Hintergrundjazz
Der Slam-Poet aus Olten, der zu den Besten im deutschsprachigen Raum gehört, wagt – wie eine seiner Figuren – den lebensverändernden Sprung über den Graben und geht mit seinem ersten Soloprogramm auf die Kabarettbühnen. Begleitet wird er von Pianisten, Komponisten und Sänger Samuel Blatter, ein guter Freund der mit knochentrockenen Einwürfen die Wortkaskaden auflockerte.
Ihm geht es besser als manchem Musiker an all den Apéros zu Firmenanlässen, Gebäudeeinweihungen, Dienstjubiläen, Vernissagen oder wenn der Chef krank ist («dann aber Apéro Riche!»). Sein Klavierspiel war nicht störendes Hintergrundgeräusch, sondern ein sehr gut mundendes Supplement.
Das Publikum konnte manchmal kaum Atem schöpfen zwischen den Pointen, Wortspielen, Doppel- und Vieldeutigkeiten, Kalauern und Hymnen auf Schweizer Identitätsstifter wie Roger Federer oder einem Pet-doyer für recyclebare Kunststoffflaschen. Doch Kilian Ziegler servierte zwischen den Reimen charmant plaudernd – und spontan seinen Versprecher integrierend – leichtverdauliche Anekdoten, lockerte die Lachmuskeln mit Klischeehäppli («poliygam-monogam-Bräutigam») oder würzte mit skurrilem Humor nach wie mit dem einsamsten Salz, dem «Fleur de Sel»: im Ausgang weiss es nie mit wem es «flörte sell».
Tiefsinn und Wortklang
Kilian Ziegler talkt alles andere als small, seine Texte sind reichhaltig philosophisch, machen nachdenklich und regen die Peristaltik der Hirnwindungen an, abgerundet wird mit einer wohldosierten Prise Nonsens. Er redet manchmal im typischen Slammer-Rhythmus, lässt sich absurde Wort-Kombinationen auf der Zunge vergehen oder kostet ekstatisch Wortklänge minutenlang aus bis das Publikum nach Luft schnappt.
Als «Phantom of the Apéro» schwebt er mit seiner Google-sicheren Weste durchs easy Studentenleben und bis ins All, prangert die soziale Vereinzelung dank iPhone und iPad an, träumt vom Fliegen wie Eddy the Eagle oder von seinem Traumhaus, schreibt Kurzkrimis oder Liebesgedichte für unbeholfene Seemänner: «Du bist wie viele Schiffe: eine Flotte!».
Vor allem ist er ein virtuoser Wortsezierer, Sinnverdreher und Silbenklauber mit einzigartigem Stil und einem exzellenten Gefühl für Sprachrhythmus, Timing und Wortklang. Dem hingerissenen, manchmal überrumpelten, sehr gut gelaunten und begeisterten Publikum ging es nach zwei Stunden Wortgewitter und Pointen-Sperrfeuer wie dem Künstler: «Non, je ne raclette rien!»
Text und Bild: Monica Dörig