AV - Humus, der fröhlich macht
Der erste Anlass, den die Kultugruppe Appenzell als eigenständiger Verein präsentierte, wurde am Samstag zu einem wunderschönen lauschigen Konzertabend in der Töpferei und Galerie zu alten Hofersäge. Die fröhliche, manchmal melancholische, virtuos gespielte Festmusik kam vom Trio «Klezmer Pau Wau».
Am Samstagabend war es wieder einmal an der Zeit, «die Instrumente zu stimmen, leis die Glieder zu recken, Zeit, die Kehle anzufeuchten, die Kleider glattzustreichen», weil es aufs Neue zu einem Konzert ging, zu dem die Kulturgruppe Appenzell in die alte Hofersäge in Appenzell eingeladen hat. Zwar ging es nicht ans Tanzen wie es im Gedicht von Jörg Fiedler heisst, dem obige Zeilen entnommen sind. Doch viele Zuhörerinnen hätten sich gern «um und um», wirbelnd im Tanz gedreht zur Musik des Trios «Klezmer Pau Wau» - «dass die fröhlichen Festgäste lachende Sternbilder werden».
Der Boden, der alles (er)trägt
«Humus» tauften Fred Singer (Klarinetten, Gesang), Viktor Pantiouchenko (Akkordeon) und Ivan Nestic (Kontrabass) ihr Programm und ihre jüngste CD. Der Humus von Mutter Erde ist jene Substanz die nährt und gedeihen lässt, die auch leichtfüssige Tanzschritte trägt, ebenso wie zorniges Stampfen, die Hochzeitsreigen und Trauermärsche trägt, die Schritte der Wanderer durch die Kulturen ebenso wie das schüchterne Wippen der Zehenspitzen und die Knie der Betenden.
Fein und lüpfig kamen die typischen Klezmerkompositionen daher, die Fred Singer mit unvergelichlich poetischem Klarinettenton anführte; weich schwingend bezauberte ein moldawischer Tanz, fröhlich machte das jiddische Trinklied, die rasanten Melodienläufen aus Bulgarien liessen die Herzen hüpfen und wehmütige klänge aus dem Osten weckten Traumbilder.
Die Trojkas die Viktor Pantiouchenko mit fliegenden Finger auf den Knöpfen seines Bajans wirbelte und zärtlich singend solo interpretierte, begeisterten das grosse Publikum. Gegen 100 Gäste konnte die neu als eigener Verein organisierte Kultugruppe begrüssen.
Zum Mitsingen verführte das Meddley aus dem Musical Anatevka und zum Schwelgen die nach langanhaltemendem Appalus als Zugabe geschenkte Jazz-Suite von Schostakovich.
Musikanten, die Freude bringen
«Alles ist halb so schlimm, wenn man Musik hat» sagte «Bandleader» Fred Singer als er den Text zu einem der jiddischen Lieder erklärte. Ein wenig schmerzt das Herz, wenn man sich durch die beliebte Klezmer-Musik bewusst wird, wie wenig von der reichen jüdischen Kultur Osteuropas geblieben ist, oder wie wenig Menschlichkeit Angehörige der Roma und Sinti erfahren, deren Musik aber gerne konsumiert und kopiert wird. In der Sprache der verschwundenen Schtetl sang Fred Singer charmant und authentisch die Geschichte vom kleinen Schneider oder einen Schnabelwetzer aus Rumänien oder ein freches Trinklied. Wenn man auch nicht jedes Wort verstand, der neckische Sinn zauberte manches Schmunzeln auf die Gesichter. Die Soloeinlagen des sensibel agierenden Bassisten Ivan Nestic gefielen ebenso wie die jazzig angehauchten Improvisationen der Musiker. Sogar ein wenig Schweizer Volksmusik wurde eingestreut, mit Chlefeli.
Etwas verbindet Klezmer-, Zigeuner- und Appenzellermusik: Die Musikanten zogen einst durch die Welt, von Ort zu Ort. Noch heute bringen sie Freude an Feste, nehmen Teil an Trauer und geben den Sehnsüchten der Menschen einen Klang. Die Musikanten nahmen die Einflüsse der Kulturen aus allen Himmelsrichtungen auf, nahmen das Gute und machten etwas Schönes, Eigenes daraus.
Oft heissen die Stücke, die lange Zeit nur mündlich, repektive über das Zuhören tradiert wurden, einfach Tanz, Polka, Lied, Hora, Kolo, Nigun, Masolke, Walzer, Freylach, Lidlech. Sie alle wuchsen aus dem musikalischen Humus, der sich durch die Zeiten gebildet hat.
Begeistertes Appenzeller Publikum
Auch «Klezmer Pau Wau» lebt davon, ehrt und feiert diesen Humus mit überlieferter Volksmusik und klassischen Kompositionen, etwa von Bartok, in brillanten, gefühlvollen Interpretation. Sie erblühen wie die blauen Blumensterne auf dem Cover ihrer CD, voll zauberischer Kraft.
Die drei klassisch ausgebildeten Musiker aus Bern, der Ukraine und Kroation, die in Bern und Basel leben, beeindruckten das Appenzeller Publikum mit Virtuosität und Spielfreude. Ihre Musik in allen Farben der Gefühle und Lebensstationen gefiel ausnehmend gut. Manch seliges Lächeln war zu sehen und viele begeisterte Aussagen waren nach dem Konzert an der Bar zu hören.
Text und Bilder: Monica Dörig