AV - Im Auge des Lärms ist die Stille

Drei Poeten einer neuen Generation - Poetry Slammer - liessen ihre Wortgewitter auf ein begeistertes Publikums prasseln

Bis zur hinterstens Ecke drängten sich die aufmerksam Zuhörenden im Kellergeölbe des Bücherladens, als am Samstag in Appenzell drei Poeten ihre Texte vortrugen. In der jungen Kulturszene wird nicht todernst deklamiert und andächtig geschwiegen. Die Poetry Slammer reden nicht um den heissen Brei, sondern stürzen sich wortgewandt und furchtlos darauf, sie legen gar noch ein Scheit nach.

Ein Slam ist ein Wettstreit unter Dichtern. Da schlagen junge Poeten einander und dem Publikum ihre Reime um die Ohren, oft laut und manchmal leise, und die Zuhörerschaft entscheidet, wer das am besten kann. Es sind nur eigene Texte erlaubt, keine Requisiten, kein Gesang. Der Grund für den Wettkampf sei die Flasche Whisky, die dem Sieger versprochen ist, erläuterte Renato Kaiser. Und wenn die andern Glück haben teilt er sie mit ihnen.

Die GfI-Kulturgruppe hatte die drei Poeten nicht zu einem Kampf, sondern zu einer Show eingeladen. Die Gegenbewegung zu angestaubten Dichterlesungen sollte auch dem Appenzeller Publikum schmackhaft gemacht werden. Gewinner waren am Samstagbend im Kellergewölbe des Bücherladens alle. Das Publikum liess die Wortgewitter gerne auf sich nieder prasseln, liess sich gerne provozieren, aufrütteln und von Poesie bezaubern. Der Whisky stand von Anfang an bereit und hat Kehlen und Zungen der Poeten schön gelockert und geölt.

Das Gras wachsen hören

Die einzige und damit beste Innerrhoder Slammerin Rosie Hörler beginnt die Woche mit ihrem eigenen Schweinehund am Frühstückstisch und kämpft sich von diesem «Arschtag» an durch fünf lange graue Tage, die sind «wie die Gesichter der Menschen an diesem Tag». Trost findet sie bei Toffifee: Die Schokolade stillt ihren Liebeskummer, ist besser als die Zigarette danach und macht auch die grauen Tage süss.

Im schönsten Dialekt erinnert sich die Lokalmatadorin an den letzen Sommer am schönsten Ort auf dieser Welt, an dem Ort wo die 19-jährige KV-Lehrtochter aufgewachsen ist. In der Lank kann sie an ganz besonderen Tage, «mit eme Qöllfrisch a de Hand» das Gras wachsen hören. Doch sie kann auch laut sein: Eine flammende Rede gegen den Schönheitswahn halten, die Schönheit von Pickeln, Runzeln und Hügeln der Orangenhaut rühmen. Denn sie will nicht schön sein und sich als ausgemergelte Männerfantasie durch schmutzige Hirnwindungen räkeln.

Poesie wird Musik

Der Shootingstar unter den regionalen Slammern, Renato Kaiser aus Goldach, Geschichts- und Germanistikstudent, verleiht seinen Texten durch Mimik, Gestik und Stimmfärbung eine dramatische Note. Dann wird Poesie zu Musik. Rhythmus und Melodie des Vortrags machen aus den Worten lebendige Geschichten. Wenn er, der eigentlich harmlos, lieb und schüchtern ist, plötzlich ausrastet, die wüstesten Fantasien rausbrüllt: «Scheiss auf die Liebe, ich will einfach nur Sex!» Er fühlt sich wie das «Denner Lager» unter de Bieren, der Leuenberger unter den Bundesräten. Dabei will er doch ein Macho statt ein Softie sein; er wär so gern fortissimo und bleibt doch still.

Zwischen Gewehrsalven gleich hingerasselten Zeilen lassen feien Töne erahnen, wie gern er doch ein Weltverbesserer wäre - «einer der Bäume ausreisst und den Regenwald schützt, einer der nicht mit Trinkwasser die Kloschüssel spült sondern in Afrika Kehlen kühlt». Und doch, er würde halt auch gern mal shoppen gehn und Däumchen drehn.

Wunderbar ist es aus jugendlichem Mund zu hören, was die Liebe ist, nämlich nicht Paris, sondern Pastis und Absinth; ein Hauch, die Stille, ein Geruch. «Liebe ist nicht wahr, nicht wahr?»

Bestechende Wortspielereien

Richi Küttel, ein nicht mehr ganz so junger Slammer, hat in Mundart und hochdeutschen Versen den Alltag und Beziehungswunsch von Singles offenbart: «...was ich brauche sind Socken, pro Tag ein Paar, und eine die das bügelt, ist ja klar ...» Er philosophiert prächtig über Bäume und eine Bank, «aber da sitzt keiner». Dem würde er von der Poesie der Jahreszeiten erzählen, damit er sich die täglichen Rationen an Emotionen nicht aus den TV-Talkshows holen bräuchte - aber «auf der Bank da sitzt keiner».

Er kann sich auch ereifern, der Rheintaler. «Gopfeteli» und «Nei danke» und überhaupt muss man denn immer etwas meinen? Oft bestechen die Zeilen mit repetitiven Elementen, mit Wortspielen und Sprachwitz und muten manchmal gar dadaistisch an. Man könnte einander doch was vormeinen und dann sagt einer dann schon was er meint; «weisch wani mein?».

Manchem mögen die Ohren ob soviel temporeicher Wortgewalt geschlackert haben. Begeistert war das bunt gemischte Publikum allemal und der Wunsch nach mehr wurde geäussert. Das wäre den Dichtern zu wünschen, damit sie ihre Eisen schmieden solange sie glühen und dem Affen mehr Zucker, ihren Pferdchen weiter munter die Sporen geben.

www.poetryslam.ch 

Monica Dörig