AV - Jeder kennt einen Herrn Brauchli

Joachim Rittmeyer feierte in Appenzell ein Wiedersehen mit seinen markanten Kabarett-Figuren

Joachim Rittmeyer hat ein grosses Publikum nach Appenzell gelockt und für Lachtränen gesorgt. Auf Einladung der GF! Kulturgruppe servierte der Kabarettist im vollen Saal des Hotel Hecht am Samstag ein klug arrangiertes Wiedersehen mit seinen Lieblingsfiguren ? «Retrospeck»

Jeder kennt einen Herr Brauchli. Den etwas ungelenken Kleinbürger, der sich ellenlang über Themen wie Trennstäbe auf dem Einkaufsförderband auslassen kann, einen für den der Kauf eines Cassis-Glaces zur Odyssee wird. Die Bruthitze macht ihm Kopfweh «bis hindere», angesichts der Ozonbelastung ist er ohne «Töffli» unterwegs. Es erwartet ihn eine arktische Expedition in die Tiefen der Tiefkühltruhe, begleitet vom gehässigen Kommentar der Kioskfrau.

Schweizer Bünzli

Joachim Rittmeyer zeichnet seine Figuren mit feinem Strich, präzis und urkomisch. Wenig braucht er dazu: ein unsteter Blick, verklemmte Körperhaltung hier, blitzende Augen, ein kerniges Grinsen und kecke Sprüche dort; ein unsäglicher zugeknöpfter Pullover oder ein biederer «Tschopen», eine Hornbrille oder eine rosa getönte Pilotenbrille, die Concertina oder das Vibraphon.
Den grossspurigen Beamten führt er dem Publikum vor, der mit Hilfe der leicht gehbehinderten Seniorin die Laufzeit für die Fussgängerampel einstellen soll. Das geht nicht ohne stringentes Training der guten Frau Hirschi. Das Publikum liebt auch den pfiffigen Alten und lacht über den Macker am Handy. Die Protagonisten kreisen um Alltagskleinigkeiten und gerade deshalb erzählen sie soviel über die Befindlichkeit der Nation. Gesellschaftskritik ist wohldosiert eingeflochten und trifft punktgenau. Rittmeyers Figuren sind intelligent gemacht ? Makroaufnahmen vom Schweizer Bünzli. Darum lacht man herzhaft über sie, darum schliesst man sie ins Herz. Denn jeder kennt einen Herrn Brauchli, er ist ein Teil von uns. Und die besten Kabarettnummern schreibt das Leben selbst.

Lieblingsfiguren

Das Programm «Retrospeck», das der Kabarettist mit St. Galler Wurzeln ? und dem entsprechenden Dialekt ? dem Publikum im Saal des Hotels Hechts servierte, schmeckte dem Publikum vorzüglich.
Es gab ein freudiges Wiedersehen mit Herrn Mätzler, dem bauernschlauen Senior, mit Herrn Brauchli, der an den Unwägbarkeiten eines kleinen Lebens verzweifelt. Wer sonst verlöre sein Büsi, weil er es für den Fall dass es ihm eines Tages abhanden kommen könnte, mit einer Fotosession erschreckt. Wer sonst quält sich beim Einkaufen wegen möglicher Überlegungen von Kundinnen, die neugierig sein Einkaufswägeli inspizieren. Herr Brauchli widmet sich mit Inbrunst den Fragen des Daseins, derer sich sonst niemand annehmen mag.

Klingender roter Faden

150 Zuschauer haben Tränen gelacht, zum Beispiel über die Primsätze. Sätze, die nur mit sich selbst teilbar sind, wie sie nach den Ferien gern angewendet werden: «..und denn landschaftlich!» Rittmeyer bastelte begleitet von bewegter Luft aus seinem Örgeli in einer Versuchsanordnung weitere: «Lüüt wo blass sind, hinked meh?» oder «Lüüt wo taff sind, trinked Tee?» oder «Hünd wo nass sind,...» ? «jawoll genau so!»
Geschickt verbunden hat Joachim Rittmeyer sein «Best of»- Programm zwischen Parkbänkli, Altersheim und Supermarkt mit Episoden im Tonstudio, wo er als Komponist Werbejingles am Vibraphon erfand. Die sphärischen Klänge wurden zum roten Faden durch die heitere tiefsinnige Retrospektive des Kleinkunst- Preisträgers.
Feierlich und mit sehr viel Begeisterung klang der Abend aus: Mit dem Lied des Organisten, der es partout nicht lassen kann, der singenden Gemeinde voraus zu eilen. Auch ihn kennen wir.

Text: Monica Dörig