AV - Karma-Punkte sammeln mit Stahlberger

Der Ostschweizer Kabarettist, Zeichner und Liedermacher sorgte mit «Neues aus dem Kopf» für ein volles Haus.

Ein schöner Auftakt für das Kulturjahr der Kulturgruppe Appenzell: Der Ostschweizer Mundartpoet und Kabarettist Manuel Stahlberger präsentierte einem grossen Publikum im «Löwen» ein esoterisches Computerspiel, ein Jasskarten-Musical und hintersinnige, gesungene  Alltagsgeschichten.

Manuel Stahlberger ist Vieles: Comiczeichner, Kabarettist, Mundart-Poet und -Liedermacher und wohl auch Melancholiker. Gerade wurde er nominiert für den Schweizer Kleinkunstpreis. Sein neues Programm «Neues aus dem Kopf» lockte am Samstagabend ein sehr grosses Publikum nach Appenzell.

Besondere Kunst

«Was soll das, ist das etwa Kunst?», fragte er nachdem er sich im Strobolichtgewitter verrenkte, wie es heutzutage das Jungvolk in den Clubs zelebriert. Solche kleinen Zwischenspiele – auch mit Karikaturen und dadaistischen Bildgeschichten und etwas Heraldik – lockerten sein neues Programm auf. Das war lustig aber nie zum Brüllen. Vielmehr schmunzelte das Publikum oft, kicherte und lachte auch mal aus vollem Herzen. Ja, das ist auch Kunst: lapidar und fast monoton Geschichten vom ganz gewöhnlichen Leben zu singen und dabei mit dem Gespür für die bittersüssen Seite des Lebens den Nerv des Publikums zu treffen.
Kunst besteht auch darin, eine unverwechselbare Ausdrucksform zu finden wie Manuel  Stahlberger mit seinen verschiedenen Talenten. Und es ist auch Kunst, die verschiedenen Ideen, Anekdoten und Präsentationsformen einen Abend lang zusammenzuhalten.
Der rote Faden ist das Leben wie es uns allen zustösst. Stahlberger sang von gescheiterten Beziehungen, geplatzten Lebensträumen, über Menschen im Stau (sehr philosophisch: «Im Stau sind alle gleich»), Familienferien, über die verwirrenden Ein- und Ausgänge des Neumarkts in St.Gallen. In den mit psychedelischem Keyboard-Gewaber und Nebel umwölkten Mundartliedern reimt sich im St.Galler Dialekt «Change» auch mal auf Mensch.
Zum Schluss warb er Mitglieder für einen Club von Menschen, die um der Verknappung der Sprache durch Handy-Nutzung etwas entgegenzusetzen, Hunderte von Strophen des Nibelungenlieds auf die Wände öffentlicher Toiletten kritzeln.

Karma-Punkte sammeln
All die neuen Ideen aus Stahlbergers  Kopf spickten die Einführung in ein Reinkarnations-Computerspiel. Wieder das pure Leben: Der Gamer wählt seine Existenz zwischen Amöbe und Wurm, auf dem nächsten Level zwischen Amsel und Hund und so fort. Er entscheidet an Schicksalspunkten zwischen Fressen und Gefressenwerden. Ist ein Leben verwirkt oder tut der Spieler Gutes, sammelt er Karma-Punkte. Für falsche Entscheidungen gibt es Abzug. Endlich darf der Gamer sich seinen menschlichen Körper zusammenstellen – und dann geht halt alles seinen Gang: Aufwachsen, Beruf erlernen, Familie gründen, Altern, Sterben.
So lapidar Manuel Stahlberger seine Geschichten erzählt, dahinter verbergen sich Philosophie und Poesie des Alltäglichen, düstere Ironie und Melancholie.
Für viel Erheiterung sorgte das auf die Leinwand projizierte Jasskarten-Musical. Schliesslich gehört das Schreiben von Musicals bei Kreativmenschen heute zum guten Ton. Stahlbergers Ober, Under und Könige (mit Unterleib!) – eingeteilt in Raucher und Nichtraucher – gefielen in zackigen Choreographien, bei den obligaten Verwechslungen, und natürlich gab es ein Happy End.
Die 120 Gäste genossen einen wahrlich schönen Abend mit skurrilen Ideen, feinem Humor und Nonsens wie sie einem in unserer schnellen, lauten Zeit nicht mehr oft geboten werden.


Text und Bilder: Monica Dörig