AV - Schöne Gedichte, aber nicht so klassisch
Pedro Lenz, der Berner Dichter und Chrigu Brantschen, Akkordeonist und Pianist, waren am Samstag Gast der Gf!-Kulturgruppe. In der alten Hofersäge von Appenzell lauschten gut achtzig Besucher den hinreissenden Geschichten samt Hintergrundmusik.
Wenn die beiden Berner Freunde einen Auftritt vorhaben, schicken sie einander vorher Handyfotos von den «Hemli» die sie vielleicht tragen werden. Zur Feinabstimmung. Pedro Lenz, der preisgekrönte Mundartschriftsteller, Kolumnist und Poet trug ein zartblaues, besticktes Hemd aus Paraguay ? etwas Folklore für die Provinz. Chrigu Brantschen der Tastenkünstler von «Patent Ochsner», Studio- und Filmmusiker, entschied sich für ein rot-schwarzes Brokatjackett zum schwarzen Hemd.
Die Beiden machten sich gut auf dem rotem Sofa auf der kleinen Bühne in der Galerie zur alten Hofersäge in Appenzell. Zwischen Rosenstrauss und Kerzenlicht trug Lenz seine Gedichte vor: spielerisch, rhythmisch, melancholisch und anheimelnd. «Üüüü dir, isch das e Fröid, wider einisch echli Gschichte z verzöue!»
Geschichten mit Schlenker
Der Text über die Jugenderinnerungen an die Kunsteisbahn hat das Zeug zum Klassiker. Wenn Pedro Lenz erzählt wie es gerochen hat damals: nach feuchten Handschuhen, nach feuchten Socken, nach feuchten Pullovern; wie es nach Punsch und Pubertät gerochen hat ? und Chantal hat gerochen wie eine Blume, liess sich küssen wenn die Jukebox «In Zaire» spielte ?, dann wissen die meisten wovon er spricht. Lenz nimmt in seinen Gedichten elegant die Kurven zum Heute. Ein Schwenk zu den zeitgenössischen Konflikten ? nach Zaire und nach Vietnam, wo Muhammed Ali keine Asiaten erschiessen . Meisterhaft macht er Schlenker zu den emotionalen Schlachtfeldern gewöhnlicher Menschen. Das trifft mitten ins Herz.
Pedro Lenz ist ein melancholischer Schriftsteller. Er weiss wie schwer die «Büezer» tragen an den Widrigkeiten des banalen Alltags. Dass so einer ausrastet, wenn er sich vorstellt was er mit den gewonnen Lottomillionen anstellen könnte, ist so wunderbar nachzufühlen. Lenz lässt ein Alter Ego anlässlich eines Auftritts bei Leuten, die viel Kohle aber wenig Freude haben, sagen, seine Gedichte seien schön aber nicht so klassisch. Doch, auch die Lottogeschichte ist schon ein Klassiker. Und sie ist eine die das Publikum herzhaft lachen liess.
Auch jene vom Greppehugo, der in die Karibik reiste, weil er doch aussergewöhnlich sein wollte, nicht so einer wie sein Vater, der Samstag für Samstag seinen Opel Rekord vor dem Wohnblock auf Hochglanz poliert. Und dann kommt er mit einer falschen Kubanerin aus Ostermundigen heim. Aber gestandene Männer wissen: Wenn man A sagt zu einer Frau, reicht es nicht, auch B zu sagen; dann muss man(n) das ganze Alphabet herunterbeten.
Poesie wie Schmirgelpapier
Viele der Gedichte hat Lenz aus seinem jüngsten Buch «Plötzlich hets di am Füdle» vorgelesen. Einige waren ganz frisch: Er deklamierte sie aus seinem kleinen schwarzen Notizbuch. Poesie wie sie so schön nur in Aussenquartieren blüht. Poesie die oft zum Schmunzeln taugt, die aber ebenso oft aufreibt wie rauhes Schmirgelpapier. Plötzlich liegt die eigene Verletzlichkeit, die eigene Unzulänglichkeit bloss.
Gedichte wie Musik
Irgendwie ist es schon Musik, wenn Pedro Lenz vorliest. Erst nach drei Zugaben gab sich das Publikum zufrieden. Chrigu Brantschen hat mit dem Akkordeon die passende Begleitung gespielt: Anklänge an Volksmusik, an Musette, etwas östlicher Blues, Improvisationen, minimalistische Toncollagen wenn es dramatisch wurde, in die Jahre gekommene Popmusik vom Keyboard und der Melodica und auch mal ein schönes Stückli auf dem Akkordeon als Intermezzo und Atempause für den Vorleser, der kaum einmal lachte, sich hineinsteigerte in die tragikomischen Geschichten, sich echauffierte oder mit grossen Augen in der Ferne den Punkt suchte, an dem das unspektakuläre Leben seiner Protagonisten den verhängnisvollen Rank machte: auf dem Fussballfeld, im Bus, auf dem Pausenplatz. «Uuuh dir», die kleinen Leute tragen schwer an ihren kleinen Leben.
Pedro Lenz, der Berner Dichter und Chrigu Brantschen, Akkordeonist und Pianist, waren am Samstag Gast der Gf!-Kulturgruppe. In der alten Hofersäge von Appenzell lauschten gut achtzig Besucher den hinreissenden Geschichten samt Hintergrundmusik.
Monica Dörig