AZ - «Montag - Arschtag»

Appenzell. Die GfI-Kulturgruppe lockte letzten Samstag viele Neugierige ins Kellergewölbe des Bücherladens. Sie bot eine Poetry Slam Show mit Richi Küttel, Renato Kaiser und der einzigen (und also der besten) Innerrhoder Slamerin Rosie Hörler.

 

Ob mit der Whiskyflasche in voller Euphorie oder mit dem gezückten Landsgemeindedegen wütend und polternd gegen das drohende Säntisgewitter, die jungen Poeten rebellieren. Das ist zwar nichts Neues. Und trotzdem tut es gut. Schreien. Johlen. Lachen. Und dann plötzlich in sich zusammenfallen, verstummen. Hoffen und von der Hoffnung reden. Zweifeln und den Zweifel beim Namen nennen. So wird der Montag zum Arschtag (guten Morgen!). So bastelt irgendein Gott an einem Welt-Baukasten - sechs Tage, am siebten wird er des Spielzeugs (Wasser, Erde, Licht) überdrüssig und er wirft den Bausatz in eine Ecke, wo der Mensch (Mann und Männin) sich selbst überlassen werden. Na denn: viel Glück. Bald stehen einander Bierbauch und Hungerbauch gegenüber: Für Renato Kaiser kein Zufall. Die verdammte Langeweile sei Schuld an allem!

Eine Show mit der Show

Die drei Slam-Poeten boten einem bis unter das Gewölbe voll gestopften Keller unter dem Bücherladen Carol Forster eine Show mit der Show. Literatur: ja. Aber nicht mit Leselampe, Wasserglas, Intellektuellenschal und leisem Hüsteln in verhaltener Stille. Nein. Immerhin geht es um eine Flasche Whisky (die der Gewinner oder die Gewinnerin am Ende jedoch redlich mit den Mitstreiterinnen und Zuschauern zu teilen hat). Poetry Slam ist ein Dichterwettstreit. Und das Publikum soll begeistert mitjohlen («Ich will ein Kind von Dir!») oder ausbuhen - falls einer seinen Text vergessen hat, lautet die Losung «Heavy Metall!»). Auf diese Aufforderung von Renato Kaiser reagierte das Publikum indessen nur zaghaft - immerhin, gegen Ende des Abends aber waren Zwischenapplaus und -rufe Beweis genug für die lockere und gute Atmosphäre. Die Gegenveranstaltung zu ruhigen Lesungen hatte ihr Ziel damit erreicht.

Regeln gibt es im Poetry Slam nicht sehr viele: Eigene Texte, fünf bis zehn Minuten, keine Requisiten, keine Lieder, vorgetragen wird im Stehen. Punkt. Und Rosie Hörler, Renato Kaiser und Richi Küttel schafften es problemlos, ihr Publikum damit zu begeistern. Direkt, überraschend, überrumpelnd. Fein beobachtend, fein sinnierend, fein gesponnen. Hörler frühstückte mit dem Montag und dem inneren Schweinehund und fragte sich, was für Drogen wohl bei den übermässig gut gelaunten Radiofritzen der Morning-Shows im Spiel sind.

Richi Küttel versuchte sich danach mit aller Gewalt zu entspannen. Und weil das in unserer durchstrukturierten, auf Höchstleistung getrimmten Gesellschaft so schlecht möglich ist, gründet er den Kanton «Appenzell Inner-Inner-Rhoden» (Hoo-hoo!). Ein Staat zum Einschlafen, Ausspannen, Abschalten.

Renato Kaiser riskierte danach die Spaltung seiner selbst - damit trieb er das Spiel (naturgemäss) weit hinein ins Absurde. Wenn er auch meist still, schüchtern und ohne Worte an Frauen vorbei- gehe, so hämmert es offenbar oft gegen seinen Schädel: «Ich will böse sein und nicht lieb, ich will ficken, nicht philosophieren!» Und dann brüllt er, schreit: «Du Schlampe!» und: «Scheiss auf Liebe - ich will einfach nur Sex!» Aber meistens bleibt er schüchtern und lieb und nett und geht ohne Worte an den Frauen vorbei, schaut sich kurz um, um zu merken, dass sich ein leises, gut gemeintes Wort eben doch gelohnt hätte.

Keine Sauerstoffknappheit

Nach einer überraschend langen Viertelstunde Pause zwängte sich das Publikum für die zweite Runde in das Kellergewölbe. Zum Glück brannten vorne ein paar Kerzen. Wäre der Sauerstoffgehalt in der Enge unter eine gesundheitsgefährdende Grenze gefallen, wären sie als Erstes verlöscht, und man hätte sich, so gewarnt, geschwind aus dem Staub machen können.

Allein, die Wortblasen und die Fantasiesprudel von der improvisierten Bühne lieferten immer neue Nährstoffe. Ein Auskommen war also mehr als garantiert - und zwar von der rein (sauer-)stofflichen Seite her, wie auch von der geistigen. Überhaupt: Die Enge im Keller war vergessen, sobald Rosie Hörler mit genauen Beobachtungen sich selbst und die Zuhörerinnen und Zuhörer in ihrem Kleinmut entlarvte. Wenns etwa, wie bei Renato Kaiser, um Träume geht, die auf immer und ewig dazu verdammt sind, Träume zu bleiben - obwohl alles von Veränderungen, Dynamik und Flexibilität redet. Oder wenn Richi Küttel ansetzte zu einem Worthülsengefecht bar jeder Bedeutung. («Du meinst was vor und dann meinen wir zusammen und dann mal schauen, was du meinst, nachdem ich dir meine Meinung gesagt hab.») Oft indes liegt weit mehr als nur ein Fünklein Wahrheit in den Texten. Nahe am Gegenstand bewegten sich die drei Slamer - meint: nahe an der Welt. Nahe an engstirnigen Menschen und weit verbreiteter Blödheit. Nahe am Zeitgeist. Und fern jeder Schüchternheit.

Guido Berlinger-Bolt