Denken macht glücklich und ist gratis
Es war viel los am letzten Samstag in Appenzell: In Rudeln zogen die Menschen von Garage zu Garage, einige spähten nach Heissluftballons am Himmel, die Delegierten der Volkspartei beschlossen die Energiewende zu bekämpfen, die Bergwirte brieten zum Jubiläum einen Ochsen und in der Wirtstube der Brauerei Locher erklärte Andreas Thiel scharfzüngig und philosophisch was Humor ist.
Andreas Thiel, den die Kulturgruppe Appenzell eingeladen hat, kennen selbst kleine Kinder – wegen seiner Frisur. Er beugt sich auf der Strasse bereitwillig für ein Selfies zu ihnen hinunter. Im Restaurant nimmt er lachend Komplimente für seinen regenbogenfarbenen Irokesen entgegen und in der Pause beantwortet er freundlich die üblichen Fragen zu seiner Punkfrisur. Der Umgang des Satirikers mit allen Arten von Menschen zeigt wer er ist, nicht die Medienberichte über seinen angeblichen Rechtskonservatismus, Rassismusvorwürfe oder die Kategorisierung als Provokateur.
Frühlingsausritt auf des Teufels Hintern
Andreas Thiel ist von Beruf Satiriker und ein Menschenfreund – und als Vegetarier auch Tierfreund -, er ist konsequent libertär. Das Publikum konnte sich davon überzeugen, als er zwei Stunden fast ohne Punkt und Komma und ohne Spickzettel den Gästen am Samstagabend im «Brauqöll» Humor erklärte. Viele seiner Definitionen waren druckreif, manches Zitat hätte man sich einrahmen mögen: «Satire ist wie ein Frühlingsausritt auf des Teufels Hintern» zum Beispiel. Man kann sich seine gesammelten Erkenntnisse auch in Buchform zu Gemüte führen. Nach der Vorstellung zeichnete er voller Freude Karikaturen seiner selbst und schrieb Widmungen zwischen die Buchdeckel.
Beer-Secco statt Moët
Das Publikum war zum Teil «gwundrig», einige Gäste – wie sie gestanden – waren ziemlich skeptisch, nachdem er es sich mit einem bekannten Talkmaster verscherzt hatte und es gewagt hatte, den Koran als schlechtes Buch zu beurteilen. Etliche Personen mussten nach Hause geschickt werden, weil kein Platz mehr war im heimeligen Besucherzentrum der Brauerei Locher. Andreas Thiel verzichtete für einmal auf seinen Moet und nippte am hauseigenen Beer-Secco. Er hat sein Versprechen gehalten: Er liess sich nicht über extreme religiösen Ansichten aus, äusserte sich nicht zur Energiestrategie, machte weder Erdogan noch Trump schlecht, prangerte die Rentenform nicht als umgedrehten Enkeltrick an, zog als Range Rover-Fahrer nicht über VW her und machte sich nicht über die Briten lustig. Aber schwang sein verbales Florett elegant und unbarmherzig und schoss spitze Pfeile auf das Verhalten von Machtmenschen, Opportunisten, Feiglingen und Intoleranten ab.
Geistreiches Geplauder
Die Gäste begriffen, Comedy ist zwar lustig, aber Satire ist wahr und um sie zu verstehen braucht es Humor. «Satiriker müssen schwindelfrei sein, denn ihre Tätigkeit spielt sich weit über der Gürtellinie ab, dort wo die Luft dünn wird», erklärte der Schweizer Kabarettist und Autor. Für ihn ist die viel gepriesene Political Correctness ein Synonym für Humorlosigkeit und das Gegenteil von Humor Empörung.
Er plauderte mal in Berner mal in Thurgauer Mundart – wenn er ein imaginäres Gespräch mit seiner Mama führte. Er wechselte in rasierklingenscharfes Bühnenhochdeutsch wenn er die Macht vom hohen Ross herunter holte oder fiktiv mit Frau Leuthard diskutierte. Er machte einen lustigen Exkurs zur schweizerdeutschen Understatement-Kultur mit Diminutiv und Konjunktiv. Tränen lachte das Publikum ob der Persiflage auf östliche Meditationspraktiken. Er darf das: Andreas Thiel lebte zweieinhalb Jahre auf dem Subkontinent. Nach Jahren in Island hat er sich nun in der Innerschweiz niedergelassen.
Die simplen Wahrheiten transportierte er mit geistreichem Geplauder, das leicht daher zu plätschern schien. Die Zuhörenden waren jedoch in jedem Moment gefordert: Nicht nur weil die Sätze zeitweise im Schnellfeuertempo auf die Ohren trafen, sondern weil das Gehirn viel zu tun hat, wenn einer derart geschliffen Unbequemes auftischt.
Publikum glücklich gemacht
Die gute Nachricht lautet: «Denken macht glücklich» und wie alles was glücklich macht – Sonnenuntergänge, Katzen streicheln, Blätterrascheln, der Wind in den Haaren - ist es gratis. Der Kapitalismus hingegen schürt die Unzufriedenheit, löst Todsünden wie Neid und Gier aus, lässt die Leute kaufen was sie nicht brauchen. Das Gegengewicht wäre die Moral, meint Thiel; die hätten die Religionen vielleicht zu bieten. Er attestiert dem Katholizismus humoristische Ansätze; die Konfession erlaubt negative Gefühle heimlich auszuleben (und sie zu beichten), während die Protestanten gehalten sind, sie zu unterdrücken. Der Buddhismus hingegen verwandelt negative Gefühle in positive: «Darum lächelt Buddha».
Am Ende wusste das Appenzeller Publikum viel über die Spielarten des Humors; Andreas Thiel hatte ausreichend Anschauungsmaterial geliefert. Das Publikum hat viel gelacht dazu: auf den Stockzähnen, herzlich und hie und da erschrocken, ertappt, vielleicht auch ein bisschen entsetzt. Wenn das Hirn einen Gedankengang abschliessen kann, schüttet es Glückshormone aus, war zu erfahren. Wird es überfordert mit absurden, grotesken, sarkastischen, makabren Informationen, muss der Mensch lachen. Der Satiriker bedient diesen Mechanismus. Andreas Thiel hat es darin zur Meisterschaft gebracht. Humor sei aber auch eine Erinnerung ans Paradies, sagte er und es sei die Aufgabe der Kunst, die Menschen dies nicht vergessen zu lassen. Seine Erklärungen zum Humor haben am Samstag schätzungsweise 80 Menschen glücklich gemacht.
Text und Bilder: Monica Dörig