Doktor Faustus auf Abwegen

Bernd Kohlhepp drückte dem Appenzeller Publikum Goethes Meisterwerk aufs Auge

Was für eine Story, was für Figuren, was für Abgründe – und was für Umwege! Bernd Kohlhepp spielt die Hauptrollen in Goethes eingedampften «Faust» mit stupendem Mimik, deklamiert wie ein Schnellfeuergewehr und driftet immer wieder ab in alltägliche Gefilde. Das Publikum spielt in seinem Klassik-Kabarett eine nicht unwesentliche Rolle.

Würde man heute ein Geschichte wie «Faust» veröffentlichen, man hätte mit viel Gegenwind zu rechnen aus der politisch korrekten Ecke und der Metoo-Phalanx: Der nicht mehr junge Doktor Faustus stellt dem minderjährigen Gretchen nach, bedient sich zweifelhafter Substanzen, um seine Jugendlichkeit zurückzubekommen, verkauft dem Teufelsboten «aus dem mittleren Management» seine Seele.  Gretchen, das sich zunächst unschuldig gibt,  vergiftet die Mutter, meuchelt zusammen mit dem Geliebten den Bruder und ertränkt  ihr Neugeborenes, derweil sich Faust mit den Hexen verlustiert. Kein skandinavischer Thriller kann da mithalten. Goethe schrieb zwar ein grossartiges Werk und hinterliess der Menschheit damit ein Repertoir aus Sprichwörtern und Tausenden Gymnasiasten über Generationen hinweg ein Matura-Thema, doch der Titel sei schlecht gewählt, meinte Bernd Kohlhepp. Er wäre eher für vier Fäuste…

Eigene Kunstform
Bernd Kohlhepp hat sich mit auf Kleinkunstformat eingedampften Klassikern eine eigene Kabarettform geschaffen. Vor sechs Jahren entzückte er das Publikum der Kulturgruppe Appenzell mit einem Husarenritt mit Schillers Räubern. Am Samstagabend begeisterte er in der Kunsthalle Ziegelhütte «Mit dem Faust aufs Auge» wieder mit seinen überdrehten Darstellungen, mit seinem hinreissenden Minenspiel und vielsagender Körpersprache. Dabei braucht er wenige Requisiten: ein paar Podeste und Kopfbedeckungen, einen blonden Zopf, einen Umhang, einen Hellraumprojektor und Sand um den glotzenden Waldgeist und Kulissen zu zeichnen - und ein paar Stimmfarben und Dialekte. Der Herrgott im Prolog spricht übrigens schwäbisch wie sein Darsteller.

Meister der Interaktion
Auch wenn man sich mit dem Faust nicht auskannte, war der Abend ein Vergnügen. Denn man fand sich meist mitten in den alltäglichen Widrigkeiten und nicht auf der Bühne der hohen Kunst. Bernd Kohlhepp plauderte aus dem Familienleben und von seinen zweifelhaften Erfolgen als Pädagoge. Erholung für die gespitzten Ohren boten die herzigen Aufsätze seiner Schülerinnen und Schüler, die sowohl «Faust» als auch den Ausflug aufs Land eigen definierten.


Für seine Deklamierkunst erntete der Kabarettist grosse Bewunderung, wenn er dem Publikum mit dem Tempo auch einiges abforderte. Er wütete und zeterte, säuselte und charmierte, pulsierte als Pheromonbombe, liebäugelte als unschuldige Maid dass es eine Freude war. Und wenn es die Zeit erforderte, galoppierte er im Schnelldurchlauf durch ein paar Akte. Bernd Kohlhepp kann nahtlos vom Goethe-Text in den Plauderton wechseln, Aktualität einflechten und sofort die Reaktionen des Publikums aufnehmen, dieses einbinden, so dass es in Auerbachs Keller mitsingt, bei geflügelten Worten summt,  bei religiös verdächtigen Sequenzen hupt. Daraus ergeben sich ständig neue Diskussion und Situationen, die Bernd Kohlhepp famos meistert. Dabei hält er die Fäden des Dramas und die mit den Zuschauerinnen und Zuschauern neu gesponnen über fast drei Stunden in den Händen und ist erst noch unglaublich lustig. So geht geistreiches Kabarett.

Text und Bild: Monica Dörig