Ein aufgehender Stern am Kabaretthimmel
Der Auftritt des Schweizer Kabarettisten Cenk war ein herrlich komischer Abschluss des Jahresprogramms der Kulturgruppe Appenzell. So viel wie am Samstagabend lacht das Publikum in der Kunsthalle Appenzell selten.
Für das grosse Publikum war es einer der lustigsten Kleinkunstabende des Jahres, für Cenk Korkmaz war es einer der schlimmsten Abende seines noch jungen Lebens. Im ersten abendfüllenden Bühnenprogramm «Schleierhaft» erzählt er ineinander verschachtelte Geschichten in die Geschichte einer südländischen Hochzeit verpackt.
Im Kosmos Familie gefangen
Zum Familienfest haben ihn erst die Mama mit ihrer «Schlechtes-Gewissen-Methode» und dann der dem Glücksspiel verfallene Onkel genötigt. Allein davon gibt es wahnsinnig lustige Geschichten zu erzählen.
Mit hunderten Gästen kämpft sich Cenk in der Dreifachturnhalle durch die Feier. Wie die Braut auf dem Mattenwagen daherschwebt und der Bräutigam an den Ringen herunterbaumelt, erzählt er unvergleichlich komisch. Das Publikum hat Tränen gelacht.
Auf den Flügeln der Fantasie rauscht er durch sein Leben und schweift an der Seite seines kiffenden Cousins auf philosophische Gedankenumwege ab. Cenk lässt das Publikum teilhaben an seinen Beziehungsnöten: Im Gegensatz zu seiner Freundin, einer unerschütterlichen Romantikerin, ist er traumatisiert, seit sein erster Heiratsantrag abgelehnt wurde. Er war sieben Jahr alt. Seither analysiert er verliebtes Gebaren und seziert Märchen sehr pragmatisch, bis ihre Unsinnigkeiten offensichtlich sind.
Das Publikum bekommt von ihm ausserdem Tipps für den Erfolg auf Social Media, die er analog ausgetestet hat: liken, folgen, kommentieren – was die Polizei auf den Plan gerufen hat. «Die schönste Alternative dazu ist die Bühne», sagte er. Das Publikum gab ihm begeistert recht.
Seine Verwandtschaft steuert Lebensweisheiten bei: «Wenn du ein bisschen Milch möchtest, musst du nicht die ganze Kuh kaufen», meint sein Onkel mit Blick aufs Heiraten, und die Tante ergänzt, mit Blick auf ihr Ehegespons «Wenn du ein Würstchen willst, musst du nicht das ganze Schwein kaufen.»
Talent für Sprachbilder
Das Publikum schloss den begnadeten Geschichtenerzähler sofort ins Herz. Er steht auf der Bühne nur mit dem Mikrofon «bewaffnet», flankiert von zwei Stühlen. Mehr braucht Cenk nicht. Seine gelassen ausgebreiteten Sprachbilder lassen das Kopfkino lustig rattern und massieren das Zwerchfell. Man spürt, die einfach daherkommenden Geschichten, sind mit Klugheit unterfüttert. Selbst wenn er sich mit seinen Gedankeneskapaden den unteren Schubladen nähert, werden seine Pointen nicht platt und auch sensible Gemüter können herzlich darüber lachen. Auf die Idee muss man erst mal kommen: Durch WC-Schüsslen sind die Menschen in alltäglichen Situationen durch ein Netz aus Rohren und Kanälen verbunden. Alle sind mit allen verbunden – was für eine Vorstellung!
So mäanderte der Künstler, der sich mehr dem klassischen Kabarett zugehörig fühlt denn der Stand up-Comedy, durch selbst Erlebtes und gut Erfundenes. Das Talent spontan auf Reaktionen aus dem Publikum einzugehen oder Versprecher einzubinden, hat er auch. Das Programm wird durch ganz feine Geschichtenfäden zusammengehalten.
Aufmerksamkeit gefordert
Einige Zuschauerinnen gestanden, dass sie höllisch aufpassen mussten, um keine der manchmal schlangengleich gezischten, oft sehr schnell gesprochenen Wendungen zu verpassen. Für andere Befragte bediente die Kabarettistin zu viele Klischees, zum Beispiel über die ordnungsliebenden, aber zurückhaltenden Schweizerinnen und Schweizer.
Dabei kann Jane Mumford, Halb-Engländerin und Halb-Schweizerin, wenn auch nicht Fakten, so doch Gene ins Feld führen: Während die Briten selbst in grössten Katastrophen tapfer grinsen – «I’m fine, thank you! Everything is really fine!» –, finden die Helvetier verkniffen «no guet» wenn sie Millionen im Lotto gewonnen haben.
Zwei Monate im Zelt
Am Rand der Veranstaltung erzählte Cenk, dass er es schon als Schulkind liebte, Sketche von Otto Waalkes aufzuführen und später im Schultheater mitzuspielen. Wie Eltern es gern sehen, hat der in Winterthur aufgewachsene junge Mann, zuerst etwas Vernünftiges gelernt. Er studierte Linguistik und arbeitete als Übersetzer bis für das Studieren keine Zeit mehr blieb. Danach schloss er doch noch das Studium in Recht und Wirtschaft ab. Das ist praktisch: Für ein eigenes Unternehmen bräuchte er keinen Anwalt. Seit Anfang Jahr ist Cenk hauptberuflich Kabarettist. Die Sporen hat sich in Talentshows abverdient.
Im Sommer verbrachte Cenk mehrere Wochen auf einer Alp bei Arosa – in einem Zelt. Das Artist in Residence-Dasein ermöglichte ihm das Arosa Humorfestival. Er nutzte die Einsamkeit – «... ich bin gern allein» – in der unerbittlichen Natur, um an seinem nächsten Programm zu schreiben. Es feiert am 8. Dezember 2023 Premiere.
Cenk darf man ohne Übertreibung als aufgehenden Stern am Schweizer Kabaretthimmel bezeichnen. Und man darf sich auf seine weiteren Geschichten freuen. Er hat verraten, dass seine Cousine inzwischen Mutter geworden ist...
Text und Bilder: Monica Dörig