Ein famoser Trip mit Mark Twain
Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain ist pleite. Die Verkäufe von «Die Abenteuer des Tom Sawyer» laufen schleppend. Ein Bestseller muss also her, sonst gehen Haus und Pooltable verloren. Er verspricht seinem New Yorker Verleger ein Buch von 300 Seiten über die Alpen. 1878 reist er nach Luzern, mit seinem Freund Reverend Harris und mit dem festen Vorsatz, einen Reisebericht abzuliefern, der die Massen begeistern wird.
So die Einführung von Bea von Malchus zu ihrem Auftritt auf Einladung der Kulturgruppe Appenzell in der Kunsthalle Ziegelhütte – und dann ging es los, Mark Twain und Reverend Harris traten auf. Oder besser gesagt traten aus Bea von Malchus heraus. Vor stimmungsvollem Matterhorn-Hintergrund schlüpfte die Frau auf der Bühne in die Körper ihrer zwei Helden, den einer Serviertochter, diverser Bergführer, britischer Alpenbezwinger, einem Confiseur-Lehrling, Lasteseln und vielen mehr. Auf einem Hocker sitzend bewegte sie Gesicht, Arme und Beine – sie tanzte – und machte mit Tonfall und Sprache ihr Bühnenpersonal lebendig. Und wie allein ihr klug genähter Mantel mit unterschiedlichem Futterstoff und gewitzten Schlitzen zum Umklappen und Neufalten einen Koffer voller Kostüme ersetzte, war schlicht grandios.
Wo die Story auftaucht
Twain und Harris machten sich also auf den Weg, erste Station Rigi. In drei Stunden von Weggis aus zu Fuss zu erreichen, versprach der Reiseführer. Die beiden brauchten für die Wanderung drei Tage zusätzlich. Unaufschiebbare Zigarrenpausen, die den Bergführer zur Verzweiflung trieben, Pausen im Moos – denn wer sonst kann schon von sich behaupten, einmal auf Kate Moss gelegen zu haben? – und Verirrungen im Nebel, das zehn Meter entfernte Hotel verschwand im Weiss, verzögerten das heldenhafte Erreichen des Gipfelziels. Wie sollte Twain die «Power of the Alpen» beschreiben, wie sollte er 300 Seiten mit üppigen Landschaftsbeschreibungen füllen, wenn der Sonnenaufgang immer schon wieder vorbei war? Twains und Harris’ Pläne, wie die Schreibblockade zu überwinden wäre, führten zu immer irrwitzigeren Plänen und Begegnungen. Doch genau darin, im Versagen, im Schrägen, im Zufälligen, da steckt sie, die Story. Mit Mark Twains und Bea von Malchus’ ineinander verwobenen Erzählstimmen bekam sie Kontur, Charme und eine Prise Verrücktheit.
Die Beklopptheit der Welt
Bea von Malchus schaffte es, den kindlichen, offenen Blick, den «frechen klugen Kindergeist» Twains, wie sie ihn nennt, einzufangen und in die Ziegelhütte zurückzusenden. Da ging es nicht bloss lustig zu und her, denn Humor kommt nicht von Freude, Humor kommt von Kummer, liess sie Mark Twain sagen. Und dieser Humor erhielt seinen Platz, als die beiden Helden das Reisehandbuch beiseite legten und beobachteten was passierte, wenn sie bummelten, träumten, trödelten und einfach mal schauten, was kam. Denn hat man Zeit hinzuschauen, kann die Beklopptheit der Welt, all das Schräge und auch Ungerechte, mit einem Lachen schöner und leichter gemacht werden. Sie schmeckt dann vielleicht so wie Reverend Harris die ungemein frische Luft auf dem Brünigpass beschreibt: wie Zitroneneis.
Text und Bild: Melinca Cajochen