Ein gutes Leben ist die beste Rache
Jess Jochimsen gilt als ein Poet unter den Kabarettisten. Er verleitete das Publikum in der Appenzeller Kunsthalle Ziegelhütte aber auch, tief zu sinken, sich ungeniert Klischees und Vorurteilen hinzugeben. Das hat manchen Gästen weniger gut gefallen. Für Lachtränen sorgten hingegen seine absurden Fotos aus dem ganz gewöhnlichen Alltag.
Es sei immer ein schönes Abenteuer ausserhalb Europas aufzutreten, flachste Jess Jochimsen zu Beginn seines Programms «Heut wegen gestern geschlossen». Der Titel ist einem Plakat entlehnt, das er wie viele weitere komisch-doppeldeutige Anzeigen und Firmenbeschriftungen fotografiert hat. Die Bilder sorgten jeweils zum Ende der beiden Programmteile für erlösendes herzhaftes Lachen. Und über Sätze wie «Heut wegen gestern geschlossen» lässt sich trefflich nachdenken. War das Feiern am Vorabend zu viel, oder einfach Alles: der Erwerbstätigkeitstrott, der Lebensverdruss, die Krisen der Welt? Sperrt man besten einfach zu, wenn man genug hat: von den Anforderungen des modernen Lebens oder von Zuwanderern? Der Freiburger Kabarettist, Musiker, Fotograf und Schriftsteller – und nach eigener Aussage ein Hippie-Kind – zeichnet mit den Verschiebungen in den Grauschattierungen des Alltag seine Miniaturen.
Er wolle ein guter Deutscher sein, versprach er. «Wir wollen es uns heute Abend schön machen» –«lehnen Sie sich zurück und geniessen sie einen Moment lang ohne Hemmungen Ihren Wohlstand», ermunterte er das Publikum der Kulturgruppe Appenzell. Manchem guten Schweizer fällt das nämlich gar nicht so leicht. Doch Jess Jochimsen, der ein besonderes Auge für das Absurde und das Melancholische hat, findet (mit dem Kölner Autor Selim Özdogan): «Ein gutes Leben ist die beste Rache». Damit liess er es dann gut sein mit den schon etwas strapazierten Anspielungen auf das Verhältnis der Schweizer zu den Deutschen, und langsam nahm der Abend Fahrt auf.
Er hatte manches Bonmot parat und als deutscher Kabarettist wetterte er natürlich gegen die grosse Koalition, das Schimpfen auf die Willkommenskultur und die alten weissen Männer, die sich die Welt nach ihren Mustern denken. Er relativierte die Flüchtlingswelle – die deutschen Verhältnisse (1 Million Geflüchtete auf 80 Millionen Einwohner) runtergebrochen auf das Publikum in der Ziegelhütte zeigte, dass im Saal gerade mal eine Person die Flüchtlingsflut präsentierte. Jess Jochimsen wunderte sich ausserdem über die Aufregung wegen der zwei Buben mit den speziellen Frisuren in Nordkorea und Amerika, mit denen in ihrer Kindheit offensichtlich niemand spielen wollte.
Sicher, die meisten Themen, die Jochimsen verhandelte, sind oft gehört, er praktiziert aber seine eigene Form von Kabarett. Auch er hält uns Mitteleuropäern den Spiegel vor, aber er steckt uns nicht in Schubladen – ausser die Tatort-Gucker, Volksmusikfreunde und Fussballfans... Von allen Seiten betrachtet er die Minenfelder der Realität und redet doch dem Fest des Lebens das Wort. Er propagiert Gelassenheit und kombiniert alles mit scharfsinnigen, bittersüssen Liedern und eben lustigen Bildern.
Neben dem Flanieren von einem Thema zum nächsten, lud er die Gäste auch zu acht «Arschloch-Minuten» ein. Er ist der Ansicht, nur wenn man nicht nur hinunterblickt auf den Morast sondern hinuntersteigt in die Niederungen, kann man erkennen wie solche Artgenossen dort denken. «Man muss nicht auf die Mitte aufpassen, sondern auf die Ränder», mahnte er. Alles wurde auf den Tisch gelegt: Sex, Politik, Religion. Bevor die Belastungsgrenzen erreicht wurde – auch so eine der Worthülse, über die sich Jess Jochmisen gerne auslässt - löste er das Unwohlsein, das sich da und dort breit zu machen drohte, mit einem hintersinnigen Song auf, sich selbst begleitend mit Gitarre, Harmonika, Glockenspiel und Fingerhut-Perkussion.
Text und Bilder: Monica Dörig