Feinsinniger Wort- und Klavierspieler
Marco Tschirpke hat dem Publikum am Samstagabend im Restaurant Alpstein geraten, Energie zu sparen und nicht nach einem roten Faden in seinem Programm «Frühling, Sommer, Herbst und Günther» zu suchen. Der Abend sei komplett fadenfrei, versicherte der Berliner Kabarettist. Das feingestrickte Programm stimulierte sowohl Gehirnzellen als auch Lachmuskeln.
Der Musiker und Kabarettist behauptete, von Goethe stamme der Rat, junge Dichter sollten danach trachten, sich nicht am ihrem Sujet zu überheben. Er nahm es sich zu Herzen und schlenderte leichtfüssig von einem Thema zum nächsten: vom Staubwischen zu Piercing zu Erziehungsstilen. Er liess seine Gedanken spazieren von der Savanne bis in die Lausitz, von der Wiege bis zum Sarg. Oder mit den mageren Kühen hinauf zur Alp – und als sie gut genährt waren wieder zu Tal. Typisch Marco Tschirpke, dass er dabei an den Pastor denkt, der schon beim Aufstieg zur Kanzel gut im Futter steht. Der Berliner Dichter fasst Erfahrungen des drögen Alltags in pathetische Strophen und poetische Reime. Oder vertont Erlebnisse mit zweirüssligen Aliens – oder wars die Gemahlin, die im Schlafanzugoberteil die Orientierung verloren hat?
Er kalauert gut und gern, jongliert mit Stabreimen, denkt um die Ecke und reimt auch mal Makabres auf «letzte Pflaum’ am Pflaumenbaum». Dazwischen tobt er sich am Piano gern in Improvisationen aus oder spielt eine Fuge auf die Kürzel deutscher Unternehmen.
Das Leben schreibt Kabarettnummern
Ohne Scheu schrieb er das Lausbubengedicht von Max und Moritz auf die Maler (Franz) Marc und (August) Macke um, die ihr Leben im ersten Weltkrieg lies-sen. Dies führte zu einem Mail-Verkehr mit einer Museumsdirektorin, den Marco Tschirpke dem Appenzeller Publikum nicht vorenthalten wollte: Das Leben schreibt manchmal die besten Kabarettnummern.
Daneben lieferte er am Samstag agrartechnische Beiträge ab und sozialistische Lieder. Der kluge Wort- und Klavierspieler hat den Schweizern nämlich eine Staatsform voraus – jedoch, sein Heimatland ging unter «aus Mangel an Bananen».
Pointen huschten vorbei
Der Berliner mit dem jungenhaften Charme ist ein Liebhaber sorgfältig gewählter Sprache, von Rhythmus und Wortspielen. Er kondensiert Wortklang und -bedeutung, Metrik und Melodien aller Art zu seinen kurzen «Lapsusliedern» – auf den Punkt eingekocht und voller Poesie. Und auch in der Weltgeschichte nimmt er gern Abkürzungen.
Manchmal huschten die Pointen und Doppeldeutigkeiten so rasch vorbei, dass die Schweizer Ohren einige davon verpassten. Vielleicht ist Tschirpke ein Nachfahre von Hanns Eisler, sicher freut er sich wie Heinz Erhardt spitzbübisch wenn seine Sätze Haken schlagen. Man hört dem Programm «Frühling, Sommer, Herbst und Günther» an, dass der mehrfach mit Preisen bedachte Musikkabarettist sich in Kunstgeschichte, Literatur, Geschichte und Musik sehr gut auskennt.
Wer das Vergnügen hatte mit ihm neben der Bühne zu plaudern, erfuhr dass der 41-Jährige Musiktheorie und Klavier studiert hat, dass er zuvor vielfältige Erfahrungen gesammelt hat, etwa bei der Betreuung von nichttherapierbaren Alkoholikern oder im Landdienst, dass er in der Schule zehn Jahre lang Russisch gelernt hat, und dass er Bäume mag.
Das Publikum erfuhr, dass das Fondue-Essen für ihn bedeutet, gemeinschaftlich im Trüben zu fischen. Und dass er es bedauert, dass die Wachsfiguren von Madame Tussaud keinen Docht haben.
Text und Bild: Monica Dörig