Handlungsreisender für gehobenen Blödsinn
Der letzte Anlass des Kulturjahres 2018 der Kulturgruppe Appenzell war ein wunderbarer Abend mit einem philosophischen, feinsinnigen, absurd komischen Musikkabarettisten: Matthias Brodowy plauderte und sang am letzten Samstag in der Kunsthalle Ziegelhütte «bis es euch gefällt».
Kabarettist wird man aus verschiedenen Gründen: Auffällig viele sind wie Mathias Brodowy fast Lehrer geworden, haben sich dann aber für das riskante Leben auf Kleinkunstbühnen entschieden. Er tat es 1997. Er gehört der letzten Generation an, die noch den Sendeschluss im Fernsehen erlebt hat. Er ist gross geworden in Tapeten mit apokalyptischen Mustern und in psychedelischen Farben. Das scheint sich ausgewirkt zu haben.
Käseliebhaber und formidabler Pianist
Der Musikkabarettist aus Hannover redet nicht nur klug und erzählt mit feinem Humor von seiner Kindheit als er im Blockflötenchor wehrlose Senioren im Heim tyrannisierte oder selbstironisch aus seinem Tourneeleben oder von seiner Leibesfülle. Er regt auch an, über Wert und moralische Verpflichtungen nachzudenken, philosophiert über die Anmutung von Buchstaben, legt seine schlimmsten Alpträume offen von AfD-Frauen und Comedy-Protagonisten, und er klaubt mit Hochgenuss Worte. Er stachelt ausserdem an zu anarchistischem Humor: «Wir müssen viel mehr Quatsch machen». Er hat eine Mission als Vertreter des gehobenen Blödsinns. Manche Zuschauer wünschten sich, sie hätten sich eine Liste gemacht mit seinen Vorschlägen.
Anstatt Armeen zu finanzieren sollte man Sonnenblumen säen, sagt Mathias Brodowy. Oder eine neuen Mozart-Oper erfinden. Anstatt zu schimpfen, anzuklagen und zu jammern bringt Mathias Brodowy das Publikum zum Lachen mit absurder Komik und feingeistigem Witz. Dabei setzt aber ganz gerne auch Hiebe in Richtung menschenverachtende Politiker.
Der bekennende Käseliebhaber und an Durchschlafproblemen leidende Laternenphilosoph fabriziert wunderschöne Lyrik, «aus dem Herzen, ohne Metrik und Reim». Er fabuliert über das Leben eines betagten Paares, das den Rollator zu zweit nutzt wie einst das Fahrrad als die beiden frisch verliebt waren. Er singt ein Lied aus geflügelten Worten, verpackt Wortwitz, Poesie und Besinnlichkeit in Melodien, die er meisterhaft auf dem Flügel spielt. Er singt herrlich exaltiert vom süssen Schmelz der allerletzten Praline, einen Song über die Schicksalszahl sieben oder vom letzten Tag der Menschheit.
Der gewisse Dreh
Mathias Brodowy mag wie sein Mentor Hanns Dieter Hüsch (1925-2005) die feinen Zwischentöne, Poesie, eine sichtbare moralische Haltung und skurrile Komik. Songs und Texte dreht er im entscheidenden Moment vom Ernst zur Schönheit des Banalen, vom Tiefsinn in die Absurdität des Alltäglichen.
In seinem Auftritt am vergangen Samstag reihte er Nummern aus neuneinhalb Programmen aneinander. Dem Publikum gefiel das von Beginn weg. Zum Schluss – «um die Stunde voll zu machen»; es war fast 23 Uhr – gab es anstatt einer Zugabe ein gemeinsames Lied, von dem das Publikum kaum genug bekommen konnte, und nach noch mehr Applaus ein allerletztes Abendlied – von Hanns Dieter Hüsch, «diesem humanistischen, philosophischen, grossen Kleinkünstler». Mathias Brodowy passen diese Schuhe wie angegossen. Beglückt gingen die Gäste der Kulturgruppe in die Nacht.
Text und Bild: Monica Dörig