Nicht jeder kann ein Freiheitskämpfer sein
Der Samstagabend in der Kunsthalle war für manche ein ganzheitliches Vergnügen. Bevor Gilbert & Oleg auf der Bühne entlang der Legende von Robin Hood Schabernack trieben, gab es im Ziegelhütte-Bistro der Heldensage würdige Speisen: Salat aus dem Sherwood Forest, Fish and Chips, Pastete mit Cabbage, Apple Pie. Auch volle Bäuche lachen gern – und das tat das Publikum herzlich.
Kann jeder ein Robin Hood sein? Diese Frage beantwortete das Komikerduo Gilbert & Oleg nicht schlüssig. Vielleicht bekamen dieser Gast oder jene Zuschauerin Lust, wie der Held aus der Legende (die übrigens nicht Master Schüttelbirne erdacht hat) sich gegen Obrigkeiten zu wehren, für die Freiheit Aller zu kämpfen und für soziale Gerechtigkeit – oder ein Fechtduell auszutragen, romantische Balladen
zu singen und mit der holden Maid Marian zu schäkern. Solcherlei Splitter aus der uralten Geschichte vermischten Andreas Vettiger (Gilbert) und Dominik Rentsch (Oleg) mit Aktuellem, Flausen oder fast Verdrängtem wie die Einschränkungen zur Corona-Zeit.
Robin Hood, ein ewiger Held
Die beiden Multitalente, ausgebildet am Lehrerseminar, an internationalen Theater- und Zirkusschulen, als Musiklehrer, Zauberer, Märchenerzähler, Puppenspieler und mehr haben ihr Konzept des Zusammenspiels in 25 Jahren entwickelt und verfeinert. Gewisse Elemente – klassische Clown-Kunst und Gags mit Wiedererkennungseffekt – ziehen sich durch ihre Programme, ob sie nun die Wilhelm Tell-Sage eigenwillig interpretieren wie vor zehn Jahren im Theatersaal des Appenzeller Gymnasiums oder ob sie sich wie am Samstagabend in der Kunsthalle Appenzell im mittelalterlichen Mythengemischtwarenladen bedienen. Robin Hood wurde über die Jahrhunderte vom frühen Wegelagerer zum edlen Beschützer von Armen, Frauen und Kindern und gar zum Kino-Superhelden umgeformt. Wie beim gesinnungsverwandten Schweizer Helden Wilhelm Tell, ist nicht belegt, dass es ihn gegeben hat. Beide taugen mit ihrer Gesinnung bis heute als Idole.
Klassische Rollenteilung
Gilbert & Oleg haben zwei Kleinbusse voller Requisiten, Kostüme und Bühnenelementen sowie Technik (samt Tontechniker mit mittragender Rolle) aus Biel, dem Berner Jura und Freiburg im Breisgau herbeigeschafft. Gut drei Stunden hat der Aufbau, unterstützt von der Kulturgruppe Appenzell, gedauert, damit die beiden famosen Kleinkünstler vor vollem Haus alle Register ziehen konnten. Zauber- und
Kartentricks wurden in die Geschichte eingebaut, Slapstick, Lieder mit Lautenbegleitung, Flötenspiel und Trommeln, Clowneske, Action, Hollywoodkitsch und Figurenspiel. Die erste Strophe wurde noch im «doppelfüssigen Jambus» deklamiert, in den restlichen 159 Strophen kamen modernere Mittel zum Zug, bis zum Loop auf dem Tablet.
Zum klassischen Clown-Konzept von Gilbert & Oleg gehört die Rollenteilung zwischen dem gestrengen Zurechtweiser (Andreas Vettiger) und dem «dummen August» (Dominik Rentsch). Dessen Mimik und Körpersprache ist umwerfend komisch und trägt das Programm zusammen mit den Wortgefechten. Weiter gehören typische Wiederholungen dazu, wie das empörte «Use!» von Oleg, wenn er mit jemandem im Publikum nicht einverstanden ist, oder «Isch es Witzli gsii!», wenn er Gilbert an der Nase herumgeführt hat – Garanten für herzhafte Lacher.
Trotz einiger Längen war ihre Umdeutung der Robin Hood-Story lustig, oft schräg und mit ein paar verblüffenden Ideen gespickt, beispielsweise wenn Gilbert Olegs Kopf aus dem Eimer zaubert. Geschickt wurde der Faden wieder aufgenommen, wenn die beiden im «Forest» der menschlichen Unwägbarkeiten vom Weg abgekommen sind. Andreas Vettiger war nicht nur der arrogante König, er war auch der Barde mit der Laute und der Erzähler, der die Zuhörenden packte und durch die Geschichte lotste und diese gar über Generationen weiterspann. Das Happy End war nicht, wie man es von Hollywood-Filmen gewohnt ist. Oleg kann traurigen Szenen auch nichts abgewinnen. Er rettete mit seiner Komik vor zuviel Didaktik und Moralin.
Young Robin wurde Gaukler (wie Andreas Vettiger und Dominik Rentsch) statt Freiheitskämpfer wie sein Ahne. Vielleicht kann nicht jeder ein Held wie Robin Hood sein; Künstler erinnern daran, dass Kunst und Begeisterung den Staub von der Seele waschen und anregen, über die Freiheit nachzudenken.
Text und Bilder: Monica Dörig