Ohne Rolf, dafür mit Giraffen und Sackgesicht
Die Pandemie hat die Wartezeit noch verlängert: Nach 16 Jahren kam das Duo «Ohne Rolf» wieder nach Appenzell. Die beiden Plakat-Künstler Christof Wolfisberg und Jonas verblüffen seit ihrer Erfindung 2004 mit ihrer einzigartigen Kabarettform Humor und Geist, gedruckt auf Papier. Ihr Programm «Unferti», das sie in der Kunsthalle Ziegelhütte dem Publikum hinblätterten, trägt stark dadaistische Züge.
«Die grosse Arbeit leistet das Publikum» scherzten die beiden Luzerner, die sich als Kabarett-Duo «Ohne Rolf» nennen, vor ihrem Auftritt. Nur durch das Lesen der Worte auf den Flipchart-ähnlichen Plakatständern erschliesst sich das Programm. Darum funktioniert das Konzept auch in anderssprachigen Gegenden – auf französisch, englisch, sogar in China –, per Streaming und im Fernsehen. Doch das Live-Erlebnis ist immer noch das beste, zeigte sich am Samstag in der Appenzeller Kunsthalle Ziegelhütte.
Hirnleistung
Christof Wolfisberg und Jonas Anderhub agieren als Blätterer mit pantomimischen Posen und ein paar Zaubertricks. Die imaginären Mücken, die sie erschlagen entpuppen sich zunächst als von Geisterhand platzierte Postit-Zettelchen und dann als herumfliegende SMS. Und mit dem Klingelbeutel fangen die beiden die Gedanken der Zuschauenden ein – Lacher sind dabei garantiert.
Die beiden Wortkünstler hängen die Plakate empört oder gelangweilt an ihren Platz, sie lassen sie schweben, sie rascheln energisch damit oder missbrauchen sie als Wurfgeschoss,e und hie und da flattert eines zu Boden. Auch wenn alles leicht wirkt, steckt doch schwere Arbeit dahinter: Jede Geste sitzt, das Timing ist massgebend, Mimik und Körpersprache unterstreichen das Geschriebene und Gelesene. Ein Gestaltungselement ist auch die Schrift: die Buchstaben sind unterschiedlich gross und fett (je nach «Lautstärke»), stehen mal kursiv und die Gedanken in Klammern. Und es gibt auch vielsagende weisse Blätter.
Das Publikum hat tatsächlich Arbeit: Die Augen lesen, das Hirn verarbeitet die visuelle Information, knüpft Verbindungen, ordnet ein, erkennt Doppeldeutigkeit, Hintersinn oder den palaktiven Witz, und aktiviert die Lachmuskeln. «Ohne Rolf» machen kein lautes Kabarett wo sich Pointen jagen und alle Minuten Gelächter aufbrandet. Bei ihnen kann man sich nicht bespassen lassen. Weil die unterschiedlichen Gehirne die Worte individuell verarbeiten, wurde auch in der Ziegelhütte hier früher und dort später leise gelacht, hier gegluckst und dort aus dem Bauch heraus gegrummelt.
Schwerarbeit
Damit das möglich ist, ist sehr viel Gedankenarbeit der Autoren nötig. Ausnahmsweise erschien ein solcher auf der Bühne, zumindest behauptete das Sackgesicht ein Schreiber zu sein, und setzte ein weiteres Verwirrspiel in Gang. «Ohne Rolf» erzählen keine linearen Geschichten, sie konstruieren auch nicht den gängigen Kabarettbogen, wenn auch typisch Elemente vorkommen: Worte und Gags die, wie kleine Anker wirken. «Ohne Rolf» puzzeln Absurditäten und Wortwitz, etwas Psychologie und Philosophie zusammen. Das am Samstag gezeigte Programm «Unferti» erinnert mit seiner Skurrilität stark an Dadaismus. Es geht aber auch um Eigen- und Fremdwahrnehmung, darum wie uns unsere Gedanken gefangen nehmen, und um Kommunikation – obwohl kein Wort gesprochen wird.
Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg haben 2004 eine einzigartige – vielfach ausgezeichnete - Kabarettform entwickelt, die sich nicht abzunutzen scheint. Das ist hohe Kunst (und macht wie alle Kunst viel Arbeit): mit gedruckten Worten einen ganzen Abend gut zu unterhalten, das brauht neben klugem Humor auch Präzision und im Fall von «Ohne Rolf» Kondition, um die Treppchen hinter den Plakaten rauf- und runterzusteigen, mit Highheels rumzustöckeln und einen Partytanz auf das Bühnenpodest zu legen. Das Publikum, das zum Teil von weit herkam, um die beiden wieder einmal zu sehen, war fasziniert und honorierte ihre geistige und körperliche Schwerarbeit mit grossem Applaus.
Text und Bilder: Monica Dörig