Spielberg, Bergluft und Berge von Hotdogs
Coleslaw in Hotdogs und Cauliflower in der Suppe, Kuchen, Wein und Bier, dazu ein autobiographischer Film des Regisseurs von «E.T.», «Der Weisse Hai», «Indiana Jones» und «Jurassic Park». Steven Spielberg stand für die Erzählung seiner Kindheit und Jugend selbst hinter der Kamera.
Das Rendezvous der Cineastinnen und Cineasten hatte bereits am vergangenen Donnerstag mit einem Film über einen anderen Grossen des Films angefangen, den Kino-Komponisten Ennio Morricone. Am Samstag vollendete «Elvis» die biographische Trilogie. Erstmals fand der Anlass nicht im Klostergarten, sondern in der Kunsthalle Appenzell statt.
Grossartig, was die Kulturgruppe Appenzell am Freitag für die Appenzeller Filmnächte auf die Beine gestellt hat. «Die Gäste kommen oft auch aus der Stadt», weiss deren Präsident Silvio Signer. Kein Wunder: Wo sonst kann man das frisch gemähte Gras riechen und sich dabei in der Freiluft-Lounge an der Rückwand zur Kunsthalle zu entspannender Musik treffen. Dazu gab es Köstlichkeiten, die es allein wert waren, vorbeizuschauen. Und darum geht es wohl auch den meisten: inspirierende Atmosphäre, Freunde treffen, etwas essen, etwas trinken, sich austauschen. Dieses Mal standen die USA Pate in der Küche: Ein Verkaufsschlager waren die Hotdogs mit Krautsalat (Coleslaw) – aber «so richtige», wie die Helfer am Tresen zurecht betonten: «home made». Ein Hit auch die Blumenkohlsuppe (Cauliflower).
Der bislang ausdauernd sechs Mitglieder zählende Verein konnte heuer zwei neue Gesichter dazugewinnen, wie Silvio Signer verriet. Wie alle anderen Mitglieder der Gruppe und weitere Freiwillige waren sie mit Herzblut am Servieren und Mitschwatzen. Das Vorglühen dauerte bis 20.30 Uhr, danach hiess es «Film ab» mit «Die Fabelmans». Der autobiographisch geprägte Streifen von Steven Spielberg zeigt die Kindheit und Jugend des Regisseurs ab den 1950er-Jahren. Die Familie zieht mehrmals um, von New Jersey nach Arizona und schliesslich nach Kalifornien.
Ikone der 80er
Für alle, die in den 1980ern aufgewachsen sind, ist Spielberg ein Synonym für Filme wie «E.T.», «Unheimliche Begegnung der dritten Art», «Back to the Future», «Indiana Jones», «Der Weisse Hai» und «Jurassic Park». Es gab kaum bekanntere Filme damals, die insbesondere an regnerischen Sonntagnachmittagen über den Bildschirm flimmerten.
Sammy Fabelman alias Steven Spielberg lebt in den 1950er-Jahren in New Jersey. Sein Vater Burt ist Ingenieur bei General Electrics (GE) und arbeitet mit seinem Freund Bennie zusammen, der von den Kindern «Onkel Bennie» genannt wird und eigentlich ständig im Kreis der Familie zu sehen ist. Ein Grund dafür erhellt sich erst mit der Zeit.
Grosses Kino, grosse Bilder
Bei seinem ersten Kinobesuch hat der spätere Star-Regisseur Angst: Die Menschen erscheinen ihm gigantisch auf der Leinwand. Da nützt es auch nicht, dass der Vater ihm erklärt, dass ein Film aus ganz vielen bewegten Bildern besteht. Näher ist ihm da die Mutter, die ihm sagt, ein Film sei wie ein Traum, den man erlebt: Bilder, die einem gegeben werden, ohne dass man etwas dagegen tun kann. Walter Benjamin lässt grüssen.
Der Film, den er an diesem Abend mit seinen Eltern sieht, zeigt, wie eine Lokomotive in ein Auto donnert. Das lässt den Jungen nicht mehr los. Er träumt davon. Als er als Weihnachtsgeschenk eine Modelleisenbahn unter dem Baum findet, kommt es, wie es kommen muss: Sammy setzt eine Weihnachtsmannfigur in ein Modellauto und lässt es mit der Eisenbahn kollidieren. «Ich musste es doch sehen», entschuldigt der Sohn das Bahnunglück im Wohnzimmer. Die Mutter hat eine Idee: Sammy will doch seine Träume verarbeiten, kontrollieren. Warum also den Unfall nicht mit der neuen 8-Millimeter-Kamera aufnehmen, damit er ihn immer wieder ansehen kann, ohne die Szene nachstellen zu müssen? Die Kamera wird von da an zu Sammys ständigem Begleiter.
Kunst braucht einen Dompteur
Seine aufkeimende Leidenschaft für die «siebte Kunst» entfaltet sich inmitten der instabilen Ehe seiner Eltern. Die Mutter ist begnadete Pianistin und hat ihre Karriere wegen der Familie aufgeben. Ihr Onkel, ein ehemaliger Dompteur in einem Zirkus, vor dem sie die verstorbene eigene Mutter in einem Traum warnt, erscheint zuerst «gefürchtig» und schräg, wird dann aber in der kurzen Zeit zu einer Art Mentor für den Jungen. Er erklärt dem Heranwachsenden, dass Kunst und Familie einen Menschen vor harte Prüfungen stellen. Den Kopf in den Rachen eines Löwen zu stecken, sei Mut – Kunst sei es, ihn lebend wieder herauszubekommen.
Die Affäre der Mutter gefilmt
Trotz emotionaler Nähe zur Mutter ist der Junge auch loyal zum Vater. Eine gefilmte Ausflugsszene, von der sich ausgerechnet sein Vater wünscht, dass der Sohn sie für die Mutter als Geschenk aufbereitet, droht zum Spaltkeil zwischen Sammy und seiner Mutter zu werden. Die Aufnahme zeigt nämlich Szenen, in denen sich sie und «Onkel Bennie» als Paar offenbaren. Sammy schneidet die Stellen zwar heraus, doch von da an meidet er die Mutter. In einem Streit sagt er ihr, er wünschte sich, er wäre nicht ihr Sohn. Als sie wissen will, was in ihn gefahren ist, zeigt er ihr den Film in der «unzensierten» Version. Sie muss ihn allein im Kleiderschrank anschauen, in dem Sammy selbst oft seine Filme begutachtet hat. Unter Tränen kriecht sie danach aus dem Versteck hervor.
Die Jahre ziehen ins Land. Als Teenager entdeckt Sammy den Antisemitismus, die jüdischen Wurzeln werden episodenartig thematisiert. Spielberg lässt den Zuschauer an den Erinnerungen seiner Kindheit teilhaben, Einsicht nehmen in einen Familienkreis, der zunehmend ausfasert. Der Film changiert in diesem Setting zwangsläufig zwischen der Sicht eines Kindes und seiner Geschwister sowie der Welt der Erwachsenen und zeichnet die Realität einer Familie lebensecht, unaufgeregt aber dennoch mit viel Mitgefühl nach.
Text und Bilder: Tommaso Manzin