Spitzentänzer, Vorurteile und Ekstase am Partygrill
Früher nannte man das Varieté: Ein bunter Mix aus Wort-, Stimm- und Tanzkünstlern, Akrobatik und Kabarett. Am letzten Samstag hiess das in der Kunsthalle Ziegelhütte: Nacht der Kleinkünste. Das Publikum bekam von allem etwas und hat sich köstlich amüsiert.
Auch wenn die Plätze auf dem Ringofen in der Ziegelhütte nicht so dicht besetzt waren wie noch vor einem halben Jahr: Organisatoren, Bühnenkünstler und -künstlerinnen und das Publikum freuten sich gleichermassen, endlich wieder Kleinkunst bieten zu können und präsentiert zu bekommen. Am Samstagabend zeigte sich einmal mehr: Kleinkunst ist immer wieder grosse Kunst und grosse Unterhaltung.
Giftig und witzig
Es gab im Rahmen der Nacht der Kleinkunst, die verheissungsvoll wie eine Wundertüte daherkam, von allem und für alle Geschmäcker etwas. Simon Chen schlug dem Publikum politisch völlig unkorrekt dessen Vorurteile, Klischees und Pauschalisierungen um die Ohren, dass es eine Freude war und der «Infektionsgemeinschaft» der Tofuburger im Hals stecke geblieben wäre – so solches im Bistro der Kunsthalle serviert worden wäre. Der Intellektuelle in der Varieté-Truppe gefiel auch bei seinem abermaligen Besuch in Appenzell mit intelligenter Satire, giftigen Spitzen gegen die Selbstgefälligkeit und mit seinem feinem Sprachwitz. Verdientermassen wurde er für den Schweizer Kleinkunstpreis 2020 nominiert.
In sanfter Mani Matter-Manier trug Res Wepfer seine Mundartlieder vor: in Gitarrenakkorde und Ukuleleriffs gebettete Wortspielereien zu Tiefgründigem wie Seelenzählen und Alltäglichem wie die vermaledeiten Single-Socken, die sich von Waschgang zu Waschgang häufen. Aber wehe, wenn er losgelassen! Der Zürcher singt und klampft sich am Partygrill in Ekstase, und die Kotaufnahmepflicht verleitet ihn zur Hardrock-Attitüde. Ein herrlicher mitreissender Spass, den das Publikum bereitwillig mitmachte!
Komisch und poetisch
Tränen gelacht hat das Publikum auch dank der Moderatorin. Margrit Bornet schlüpfte in die Rolle der Plaudertasche Sandra, von Beruf Coiffeuse und lebenserfahren in allen Belangen. Tochter Susie, Blondie mit Teenie-Slang, ist bereits eine Kulturfigur – «kennsch?» – zum Schreien komisch! Die Schauspielerin aus dem Toggenburg gehört zu den besten Kabarettisten des Landes. Nebst etlichen anderen Preisen hat sie einst den Goldigen Biberflade der Appenzeller Kabaretttage gewonnen. Es scheint, sie habe seit damals ein Fanclübli hier.
Beeindruckend waren auch die beiden jungen Akrobaten und Jongleure Martina und Nico mit ihren kleinen spielerischen Solonummern und als Duo gemEinsam. Ihre Performance mit und rund um einen Polstersessel verströmte Zirkuspoesie.
Meisterhaft und federleicht
Eine Sensation war Daniel Borak. Der elffache Weltmeister im Stepptanz legte ein Perkussionsgewitter auf den Spezialbelag der Bühne, dass einem der Atem wegblieb. Rasend schnell tanzte er die Rhythmen, balanciert auf Schuhspitzen und Aussenkanten, schwebte und glitt über die Bühne. Zwar vergoss er viel Schweiss, dennoch muteten seine Choreographien federleicht an. Eine grossartige Show – um viele Facetten reicher als die bekannten Revue-Nummern vergangener Zeiten.
Die Macher von «Kulturbau» haben ein hinreissendes Programm zusammengestellt. Damit touren sie während zwei Wochen durch die Schweiz. Sie haben damit ein erfolgreiches Konzept wieder aufgegriffen. Einen, der 25 Jahre dabei ist – auch bei anderen Produktionen hinter und auf der Bühne – Techniker Manuel Lindt, liessen die Kulturmanager in Appenzell für gefühlt 300 Vorstellungen hochleben. Glückliches Appenzell, dass es mitfeiern durfte und es neben Winterthur, Bern, Kreuzlingen usw. in den Genuss des bunten Kleinkunst-Reigens kam. Das Publikum sei bisher das beste gewesen, sagten die Künstlerinnen und Künstler zur Halbzeit ihrer Tournee. Man glaubt es gern: Das Kulturgruppe-Publikum belohnte die Auftretenden mit tosendem Beifall und Bravorufen.
Text und Bilder: Monica Dörig