Viele Themen, aber keine Schlange
Jane Mumford denkt, Reptilien sind besser dran als Säugetiere mit all ihren Lebensdramen, Schweiss und Blut und Tränen. Im dicht befrachteten Soloprogramm «Reptil» redete sie sich in der Kunsthalle Ziegelhütte während eineinhalb Stunden vom hundertsten ins tausendste Thema.
Jane Mumford ist süchtig nach Fakten. Die Beschaffung stellt sich allerdings zunehmend schwierig dar. Die Kabarettistin, Musikerin und Designerin hält nichts von nebligen Verschwörungstheorien. Für sie zählen einzig Fakten, Fakten, Fakten. Egal ob sie Museen zu Geschlechtsteilen besucht – die es in Island und den USA tatsächlich gibt – oder ob sie über die Erfindung des Tourismus in der Schweiz (durch die Engländer!) referiert. Sie bevorzugt harte Tatsachen. Zur Not lassen sie sich zwecks Kabaretts hinbiegen, wie sich im Lauf des Abends erwies.
«Riskantes» Engagement
Gefühlsduseleien sind nicht Janes Sache. Darum ist sie überzeugt, als Reptilien wären wir besser dran: Pragmatisch würde das Weibchen seine Büroarbeit kurz unterbrechen, wenn es Zeit für die Eiablage ist, den Vorgang effizient und diskret erledigen und an den Arbeitsplatz zurückkehren. Den Sexualpartner hätte das Weibchen da längst verspeist. Keine schmerzreiche Geburt, keine Liebesdramen, kein Geschrei, keine Körperflüssigkeiten. Die Nummer gehörte zum Besten an diesem Kabarettabend in der Kunsthalle Ziegelhütte.
Die Kulturgruppe Appenzell hat Jane Mumford als Solokünstlerin eingeladen, nachdem ihr Auftritt in der «Nacht der Kleinkünste» letzten Herbst krankheitsbedingt ausgefallen war. Für die Veranstaltenden, die in der Regel die Auftritte der engagierten Kleinkunstschaffenden visioniert haben, war das Programm «Reptil» ebenso eine Überraschung wie für das Publikum. Sie kannten Jane Mumford bisher als die eine Hälfte des schrillen Musikkabarettduos «9 Volt Nelly».
Während zwei Zuschauer die Geduld nicht aufbrachten, die ersten Passagen auszuhalten, die zum Teil etwas zäh und konstruiert wirkten – abgesehen von der tollen Burleske-Einlage ohne Schlange –, äusserten sich viele nach der (pausenlosen) Vorstellung gut gelaunt, sogar begeistert. Sie fühlten sich bestens unterhalten, hatten sich amüsiert, fanden die feine Art der Darstellerin gut, sagten sie im Rahmen einer kleinen, nicht repräsentativen Publikumsumfrage.
Zu wenig Reptilien
Jane Mumford gehört einer neuen Generation von Kabarettistinnen an, die ohne Effekte und ohne platte Witze, quasi ungeschminkt, aber mit leicht schräger Perspektive über die Welt sinnieren. Das birgt die Gefahr, dass etwas gar viele Themen in ein Programm gepackt werden und der rote Faden – oder in diesem Fall die Kobra – sich in Luft auflöst, anstatt den Kreis zu schliessen – oder, dem Titel angemessen, sich in den eigenen Schwanz zu beissen.
Dem Programmtitel «Reptil – kaltblütiges Kabarett» wurde Jane Mumford nicht ganz gerecht. Zwar suchte sie im «Vorspiel» ihre Schlange Nicole, mit der sie den Abend hätte bestreiten wollen, und kam später auf die Verschwörerlegende der Echsenmenschen zu sprechen, die die Weltherrschaft anstreben, und sie gefiel mit der Performance des Eier legenden Reptilienweibchens, aber das Motiv blieb blass und trug nicht durch den Abend. Ausser man rechnet die Schuhe der Künstlerin mit Schlangenlederprägung dazu.
Aufmerksamkeit gefordert
Einige Zuschauerinnen gestanden, dass sie höllisch aufpassen mussten, um keine der manchmal schlangengleich gezischten, oft sehr schnell gesprochenen Wendungen zu verpassen. Für andere Befragte bediente die Kabarettistin zu viele Klischees, zum Beispiel über die ordnungsliebenden, aber zurückhaltenden Schweizerinnen und Schweizer.
Dabei kann Jane Mumford, Halb-Engländerin und Halb-Schweizerin, wenn auch nicht Fakten, so doch Gene ins Feld führen: Während die Briten selbst in grössten Katastrophen tapfer grinsen – «I’m fine, thank you! Everything is really fine!» –, finden die Helvetier verkniffen «no guet» wenn sie Millionen im Lotto gewonnen haben.
Warmherziges Geplauder
Die stärksten Momente des Abends waren wie gesagt jene, in denen die Künstlerin auch ihr pantomimisches Talent einsetzte. Die junge Frau ist wandelbar, verfügt über eine ausdrucksstarke Mimik und reptiloid-geschmeidige Gestik; sie steigerte im Lauf des Abends ihre Präsenz merklich. Man traut Jane Mumford einiges zu.
Es gelang ihr, das Appenzeller Publikum, das sich etwas verhalten zeigte, auf ihre Seite zu ziehen. Dieses würdigte die beeindruckende Leistung mit warmem Applaus. Und Jane Mumford freute sich, dass sie Marco Rima, der zur selben Zeit im Gringel aufgetreten ist, ein stattliches Publikum abspenstig gemacht hat. Danach mischte sich die Künstlerin zwecks angeregt-fröhlichen Geplauders unter die Gäste – alles andere als kaltblütig.
Text und Bilder: Monica Dörig